und zu unserem Gott, denn er ist groß im Verzeihen.
8 Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken,
und eure Wege sind nicht meine Wege - Spruch des Herrn.
9 So hoch der Himmel über der Erde ist,
so hoch erhaben sind meine Wege über eure Wege
und meine Gedanken über eure Gedanken.
Juden haben sich um die Zeitenwende ans Tote Meer (Qumran) zu einer mönchsartigen Gemeinde zurückgezogen, um gemäß ihrer Regel „Gott zu suchen“. Wie das zu verstehen ist, lehrt diese Lesung, die zusammen mit anderen Texten (vgl. Ps 34) Anstoß zum Lebensprogramm von Qumran wurde.
Die Formulierung „Gott suchen“ bezeichnete ursprünglich das Erfragen JHWHs durch einen Propheten in Notsituationen (z.B. 2 Kön 8,8), später jedes Aufmerken auf Gott im Kult (Am 5,4.6) und im täglichen Leben. Im letzteren Sinn ist die Aufforderung „sucht den Herrn“ an unserer Stelle zu verstehen. Der Prophet ermahnt die im Exil lebenden Juden, sich JHWH zuzuwenden und ihn anzurufen; denn er will sich von ihnen „finden“ lassen und ihnen helfen; er ist ihnen nahe. Konkret heißt „sucht den Herrn“: Umkehr vom falschen, gott‑losen Weg und Preisgabe der gottwidrigen Pläne, sich in der Fremde auf eigene Faust Rettung und Glück zu verschaffen.
Als Motiv dieses Gott‑Suchens nennt der Prophet Gottes Erbarmen und seine Größe im Verzeihen. Dadurch unterscheiden sich, wie es im Gottesspruch heißt, Gottes Wege und Gedanken gewaltig von den Irrwegen und unzulänglichen Plänen der Menschen: Wir alle sind auf uns bedacht, meinen in kleinlicher Weise alles zum eigenen Nutzen machen zu müssen und sind selten bereit zum Verzeihen. JHWH hingegen ist selbst da noch auf das Gute bedacht, wo Menschen sich verfehlen: „Alle Pfade JHWHs sind Huld und Treue“ (Ps 25,10).
Allerdings kann Gott nur dort den Menschen helfen, wo sie sich nicht durch engherziges, rechnerisches Kalkül verschließen (vgl. das Sonntagsevangelium).
Wir leben in einer Epoche, da die Verantwortlichen in Familie, Kirche und Politik viele Wege suchen und Pläne machen, um die uns aufgegebenen Probleme zu lösen. Geschieht das nicht oft, ohne an Gott zu denken und auf ihn zu achten? Der Name „Gott“ ist vielen verloren gegangen oder zur Floskel geworden.
Die Lesung dagegen fordert uns alle auf: „Sucht JHWH!“ Dabei geht es nicht bloß um ein spekulatives Forschen, wie es die „Gottsucher“ in Kunst und Philosophie bezeugen. Die Bibel ermutigt vielmehr zum Gott‑Suchen als der täglichen Rückkehr zu dem, der uns nahe ist und trotz unserer Sünde helfen will.
Phil 1,20ad-24.27a
20adDarauf warte und hoffe ich,
dass Christus durch meinen Leib verherrlicht wird,
ob ich lebe oder sterbe.
21Denn für mich ist Christus das Leben,
und Sterben Gewinn.
22Wenn ich aber weiterleben soll,
bedeutet das für mich fruchtbare Arbeit.
Was soll ich wählen?
Ich weiß es nicht.
23Es zieht mich nach beiden Seiten:
Ich sehne mich danach, aufzubrechen und bei Christus zu sein
- um wieviel besser wäre das!
24Aber euretwegen
ist es notwendiger, dass ich am Leben bleibe.
27a Vor allem:
lebt als Gemeinde so,
wie es dem Evangelium Christi entspricht.
Bleibender Lebensinhalt
Wer mit dem Tod konfrontiert wird, fragt sich: Wozu überhaupt leben? Welchen Wert hat es? Um darauf antworten zu können, lohnt es sich, die Worte zu erwägen, die Paulus im Gefängnis diktierte, als er sich zwischen Tod und Freilassung gestellt sah.
Der Apostel ist angesichts einer drohenden Verurteilung gelassen, ja froh (Phil 1,19f). Grund dafür ist nicht eine Abwertung des Lebens wie bei griechischen Philosophen; diese sahen im Sterben einen Gewinn, weil die Seele dadurch endlich von der Fesselung an den Leib und die Mühen dieses Lebens befreit würde. Für Paulus ist Sterben aus einem anderen Grund ein „Gewinn“.
Er durfte nämlich Christus kennenlernen als den, der allein die Menschen aus ihrer Todesverfallenheit erretten und ihnen Anteil an seinem göttlichen Leben geben kann (vgl. Phil 3,8). Seit seiner Bekehrung und Berufung weiß sich der ehemalige Verfolger mit Christus verbunden, und seither ist Christus für ihn „das Leben“, Grund und Inhalt seiner Existenz. Weil der Tod zu einer noch innigeren Vereinigung mit dem Auferstandenen führt, ist er für den Apostel nur Gewinn.
Was ist aber dann der Sinn des Lebens vor dem Tod? Er liegt in der „Frucht des Werkes“ (wörtlich), d. h., dass der Apostel das Werk Christi (Phil 1,6; 2,30) weiterführt und sein Wirken Frucht für die ihm Anvertrauten trägt (vgl. Joh 15,16).
Paulus erwägt, was er angesichts der genannten Einschätzung von Tod und Leben wählen soll. Sein Herz ist von der Sehnsucht erfüllt, durch sein bildhaft ausgedrücktes „Aufbrechen“ aus dem Leben dieser Welt im Tod sofort zu Christus zu gelangen. (Die Seligkeit beginnt also nicht erst, wie früher oft erklärt wurde, nach einer Wiedervereinigung der Seele mit dem Leib am Jüngsten Tag!)
Er erkennt aber auch, dass sein „Bleiben im sterblichen Fleisch“ (wörtlich) für die Menschen notwendiger ist, um ihnen durch seinen Dienst zu helfen, jetzt schon und im Sterben zur vollen Christusgemeinschaft, zu einem wahrhaft erfüllten Leben zu gelangen.
Was Paulus hier schreibt, gilt für jeden Christen. Welche Tätigkeit einer auch ausübt (selbst die erzwungene Untätigkeit) - sie ist nicht sinnlos, wenn sie in Verbundenheit mit Christus ausgeübt oder erlitten wird. Im Sterben erweist sich das bisherige Leben dann als nicht umsonst; es findet vielmehr in der ewigen Gemeinschaft mit Christus seine Vollendung.