Von Christus geprägt
800 Jahre Stigmata des heiligen Franz von Assisi
Im September 1224 hatte sich Franz von Assisi auf den waldreichen Bergrücken von La Verna in der Nähe von Florenz zurückgezogen. Von Spannungen in seiner Ordensbewegung innerlich aufgewühlt und äußerlich von Krankheiten gequält, wollte er in der stillen Einsamkeit bei Fasten und Beten zur Ruhe kommen. Doch den eigenen Lebens- und Berufungsweg in den Blick nehmend, plagten ihn dort Selbstzweifel, das Gefühl der Gottverlassenheit und des Versagens. In diesem Moment tiefster Depression, in dem ihn der Versucher bedrängte, sein Leben mit einem Sprung vom Felsen zu beenden, wurde dem gebrochenen Häufchen Elend besonderer Trost zuteil. Bonaventura beschreibt in seinem Großen Franziskusleben folgende Begebenheit (siehe Text im Rahmen):
Als Franziskus eines Morgens um das Fest der Kreuzerhöhung am Bergeshang betete, sah er einen Seraph mit sechs feurigen, leuchtenden Flügeln von des Himmels Höhen herabschweben. Da er in blitzschnellem Fluge dem Ort nahegekommen war, wo der Gottesmann betete, schaute Franziskus zwischen den Flügeln die Gestalt eines Gekreuzigten, dessen Hände und Füße zur Kreuzesgestalt ausgestreckt und ans Kreuz geheftet waren. Bei diesem Anblick war Franziskus sehr bestürzt; Freude und Trauer zugleich erfüllten sein Herz. Die liebevolle Erscheinung, bei der er Christi Blick auf sich ruhen sah, durchströmte ihn mit Freude; doch der Anblick seines Kreuzesleidens durchbohrte seine Seele mit dem Schwert schmerzlichen Mitleidens. Schließlich erkannte er durch eine Offenbarung des Herrn, die göttliche Vorsehung lasse ihm deswegen diese Erscheinung zuteilwerden, damit er schon jetzt wisse, nicht der Martertod des Leibes, sondern die Glut des Geistes müsse ihn als Freund Christi ganz zum Bild des gekreuzigten Christus umgestalten. Als sich das Gesicht seinen Augen entzogen hatte, blieb in seinem Herzen jenes wunderbare Feuer zurück, prägte aber auch seinem Leibe ein nicht minder wunderbares Bild der Wundmale ein. Sogleich wurden nämlich an seinen Händen und Füßen die Wundmale der Nägel sichtbar, wie er sie soeben an jenem Bild des Gekreuzigten geschaut hatte. Als die wahre Liebe Christi also den Liebenden in dessen Bild umgestaltet hatte, stieg der engelgleiche Mann Franziskus vom Berg herab. Er trug dabei das Bild des Gekreuzigten an sich (vgl. Franziskus-Quellen 764-766).
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Angesprochen vom Gekreuzigten
Seit ihn das Kreuzbild von San Damiano am Beginn seiner Bekehrung im Jahr 1206 angeredet hatte, wurde Franziskus zu einem besonderen Liebhaber des Gekreuzigten. Von jener Stunde an, heißt es, war sein Herz verwundet und zerschmolzen im Gedächtnis des Leidens des Herrn (Franziskus-Quellen 620). Mit der Stigmatisation am Berg La Verna hat die Compassio Christi, das innige Mitleiden mit dem Herrn, schlussendlich im wahrsten Sinne des Wortes ganz konkret Fleisch angenommen, hat ihn Christus auf ganz neue Weise wortlos angesprochen.
Im liebenden Blick Christi
Auf La Verna hat sich die Christusbeziehung des kleinen Armen von Assisi noch einmal intensiviert, sie erhält eine neue Qualität und Intimität. Es ist jener Blick des Gekreuzigten, den Franziskus so liebevoll auf sich ruhen spürt, der ihn trotz herzlichen Mitleidens zu trösten vermag. Im Anschauen des seraphischen Kreuzbildes wird sein ganzes Wesen verwandelt in ein wahres Abbild des Herrn Jesus. Dieser hat ihm seine Zeichen eingeprägt und somit als wahren Freund Christi gekennzeichnet. Die Stigmen erhält Franziskus nicht quasi als Auszeichnung für ein frommes Leben, sie sind viel tieferliegend die Frucht des Lebens eines mitliebenden Gottsuchers. Paulus hat diesen Glaubensweg auf den Punkt gebracht: Christus will ich erkennen und die Macht seiner Auferstehung und die Gemeinschaft mit seinen Leiden; sein Tod soll mich prägen (Phil 3,10).
Träger der Zeichen Jesu
Franziskus erfährt am Berg von La Verna in der geschenkten Begegnung mit seinem geliebten Herrn persönliche Neuschöpfung und Sendung zugleich. Der Weg führt ihn von der Zweisamkeit mit Christus wieder vom Berg hinunter zu den Brüdern und den vielen Menschen, denen er zu einem Vater und Ermutiger für ein befreiendes Glaubensleben geworden ist. Gleich dem Seraph – von daher der Name „seraphischer Orden“ für die Franziskaner – darf er von nun an den Gekreuzigten einer erkalteten Welt neu bringen und aus dem Erlebten ein von der Liebe Christi verwundeter und gezeichneter Missionar sein, und mit Paulus bekennen: denn ich trage die Zeichen Jesu an meinem Leib (Gal 6,17).
In den Wunden des Erlösers
Die Begegnung des jugendlichen Giovanni, so der eigentliche Taufname, mit einem Aussätzigen vor den Stadttoren von Assisi war Franziskus unter die Haut gegangen und hatte den oberflächlichen Lebemenschen, Sohn neureicher Eltern, zuinnerst erschüttert. In dem geschundenen Namenlosen fand er unbewusst zu einem neuen Du, in der Umarmung desselben sich und den leidenden Christus zugleich. Bereits in diesem Moment findet er seine eigenen Verwundungen in jenen des Leidensknechts. Damit ist die noch unerkannte Sehnsucht geboren, dem geheimnisvollen Herrn näher zu kommen. In der Stigmatisation gegen Ende seines Lebens findet dieses Sehnen ein tröstliches Ziel, eine neue Heimat. Der Biograph Thomas von Celano bringt es folgendermaßen zum Ausdruck: ... und er, der sich ganz entäußert hatte, ruhte desto länger in den Wunden des Erlösers (Franziskus-Quellen 242).
Mit Feuer im Herzen
Zurück blieben an Franziskus aber nicht nur die Male der Nägel und jene der Lanze der Passion Christi, sichtbar in seinem Fleisch. Bonaventura spricht dem vorgereiht von einer Feuersglut im Herzen des so Beschenkten, die brennt und doch nicht verbrennt. Diese scheint wichtiger als die äußeren Zeichen. Es ist die innere Prägung durch das Feuer göttlicher Liebe, die sich untrennbar eingräbt in jede Faser seines Seins und Wesens, die ihn sodann den Lobgesang des Schöpfers dichten und mit Gelassenheit auf das eigene Sterben zugehen lässt. Es ist jenes Feuer, das den kleinen Armen von Assisi noch heute so anziehend macht, weil diese Glut auch nach 800 Jahren nicht erloschen ist.
An den Wunden erkennbar
Der Auferstandene hat in den Ostererzählungen alle Mühe, dass ihn seine Jünger als ihren Herrn wieder erkennen. Letztlich sind es die Wundmale, die Jesus dem Apostel Thomas als Berührungspunkte darreicht, die allen Zweifel schwinden lassen sollen. Verwundungen, wenn auch verklärt, als Erkennungsmerkmale und als heilende Wirklichkeit. Die tiefere Bedeutung davon hat auch Franziskus auf La Verna an sich erfahren dürfen. In der Vereinigung der eigenen Wunden, die das Leben schlägt, mit jenen des Erlösers, sozusagen übereinander gelegt, geschieht Verwandlung, Heilung und Neuschöpfung. Wunden als Zeichen einer tieferen, ja geradezu mystischen Wirklichkeit. Das Ordenswappen der Franziskaner verkündet programmatisch, was Franziskus in unüberbietbarer Weise erfahren durfte, als Wesen und Ziel der Minderbrüder: dem armen und verwundeten Herrn ganz gleichförmig zu werden und so Christus durchscheinen zu lassen. Die im Wappen gekreuzten Hände der beiden Verwundeten, Christus und Franziskus, drücken in unüberbietbarer Weise eine innige Verbunden- und Zugehörigkeit aus, wie es sich jeder Suchende auf dem Glaubensweg nur wünschen und erbitten kann.
P. Oliver Ruggenthaler OFM