Maria, die Schmerzensmutter
An ihr Erleben wollen die Bilder erinnern, die sie darstellen mit dem toten Sohn auf ihrem Schoß. Die Schmerzensmutter ist auch das Ziel an vielbesuchten Wallfahrtsorten wie Telgte in Westfalen oder Maria Taferl hoch über Marbach an der Donau. Maria, die getroffen ist vom Leiden und vom Tod ihres Sohnes, kann für uns Vorbild sein, dass wir die Gemeinschaft mit Jesus suchen und an seinem Leiden nicht achtlos vorübergehen. Sie kann uns auch Trost schenken, weil wir in dem Leiden, das uns trifft, nicht allein sind.
Das Zeugnis der Evangelien
Das Johannesevangelium (19,25-27) zeigt uns Maria, wie sie mit den übrigen Frauen und mit dem Lieblingsjünger nahe beim Kreuz Jesu steht. Jesus spricht zuerst sie und dann den Jünger an und verbindet die beiden miteinander als Mutter und Sohn. Es ist sein letztes Tun, und damit vollendet er das ganze Werk, das Gott, der Vater, ihm aufgetragen hat. Für Maria ist es letzter Ausdruck der Liebe und Fürsorge Jesu, aber auch Zeichen der endgültigen Trennung für dieses irdische Leben. Sie wird nicht mehr Jesus, den Sohn Gottes, den sie geboren hat, sondern den Jünger Jesu an ihrer Seite haben. Nur den gemarterten und toten Leib ihres Sohnes kann sie noch auf ihrem Schoß halten und kann ihm ganz nahe sein, bevor er ins Grab gelegt wird.
Das Lukasevangelium berichtet uns, wie Jesus als Kind von vierzig Tagen in den Tempel gebracht wird. Für Simeon, den vorbildlichen und hochbetagten Israeliten, ist das ein Augenblick der höchsten Freude. Er darf erkennen, dass dieses Kind der Messias ist, und er darf erleben, dass Gott die Verheißung, die er ihm gegeben hat, erfüllt. Simeon und Maria teilen diese große Freude.
Wie ein schriller Missklang schließt sich das Wort des Simeon an, in dem er ankündigt, dass Jesus, der Messias, radikalen Widerspruch erfährt und dass Maria ein Schwert durch die Seele dringen wird (Lk 2,34-35).
Gerade weil sie die Mutter Jesu ist, wird sie das, was ihm widerfährt, zutiefst verletzen und verwunden. Große Freude, aber auch diesen Schatten bringt für Maria die Begegnung mit Simeon. Weil sie mit Jesus zuinnerst verbunden ist, wird sie viel zu leiden haben, wird sie zur Mutter der Schmerzen werden.
Maria als Vorbild
Christsein bedeutet Jüngersein, bedeutet herzliche Beziehung zu Jesus von Person zu Person. Diese Beziehung kann nie lebendig und tief genug sein und wir können nie genug um sie bitten. Der Platz des Jüngers ist bei Jesus, auf seinem ganzen Weg, auch beim Tragen des Kreuzes (Lk 9,23).
Das Lied „Christi Mutter stand mit Schmerzen“ beschreibt eindringlich, wie Maria mit Jesus leidet, und bittet sie auch, dass sie ihren Schmerz an uns weitergebe. Den Spuren von Maria folgt der heilige Franziskus von Assisi. Er hat in seinem inneren Erleben so sehr das Leiden Christi betrachtet und an ihm teilgenommen, dass er zwei Jahre vor seinem Tod die Wundmale des gekreuzigten Herrn an seinem Leib empfangen hat. Maria und Franziskus wollen uns zu Jesus führen und wollen uns anleiten, dass wir an seinem ganzen Leben und Leiden Anteil nehmen und dass unsere Beziehung zu ihm möglichst persönlich und herzlich wird.
Maria als Trösterin
Je tiefer und herzlicher die Beziehung ist, desto verwundbarer wird jemand für das Leiden naher und geliebter Menschen. Maria war auf einzigartige Weise die Mutter Jesu und dieser Beziehung entsprechend wurde sie vom Leiden ihres Sohnes getroffen. Unsere Welt ist voll von Leiden und Mitleiden. Gerade Mütter leiden durch ihre Kinder und mit ihren Kindern – mit den kleinen, den heranwachsenden und erwachsenen. Der Tod eines Kindes, vielleicht nach längerer Krankheit, vielleicht plötzlich durch einen Unfall; Kinder, die drogenabhängig werden und in maßloses und fast hoffnungsloses Elend geraten; Kinder, die mit offenen Augen, aber blind und unbelehrbar, ihr Unglück herbeiführen; tiefgehende und lange dauernde Entfremdung – vielfältig und überraschend wie das Leben sind die Ursachen von Leiden und Not.
Und was von Müttern erfahren wird, kann alle treffen, die in einer tiefen und lebendigen Beziehung stehen. Der Blick auf die Schmerzensmutter hebt den Schmerz nicht auf, gibt ihm aber eine andere Umgebung und sagt uns: Du bist mit deinem Schmerz nicht allein, Maria teilt ihn mit dir. Richte wie Maria deinen Blick auf Gott. Maria durfte erleben, dass Gott ihren gekreuzigten Sohn auferweckt hat und dass sie in der jungen Kirche dem auferstandenen Herrn begegnete. Habe Geduld, vertraue auf Gott und halte dich an ihn. Er liebt uns und er hat die Macht, alle Not und allen Schmerz zu überwinden.
Prof. P. Dr. Klemens Stock SJ
em. Prof. für Neues Testament am päpstlichen Bibelinstitut
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