Paulus – Informationen zu Person und Theologie des Apostels | Teil 5
Wir wissen: Wer sich – angesprochen durch das Evangelium – endgültig für die Gemeinschaft mit Jesus Christus, dem Sohne Gottes, als neuen Lebensgrund entscheidet, wird dadurch zu einem Glied am Leib Christi (Röm 12,4f; 1 Kor 12,12–27). Er bejaht damit in einer neuen Gemeinschaft zu leben, deren prägendes Vorbild Jesus Christus selbst ist; denn alle, die Gott in diese Gemeinschaft berufen hat, hat er auch im Voraus dazu bestimmt, an Wesen und Gestalt seines Sohnes teilzuhaben, damit dieser der Erstgeborene unter vielen Brüdern sei. (Röm 8,29)
Wie sollen sich nun die Glaubenden verhalten, damit ein jeder zur Erbauung der Gemeinschaft beiträgt und sie sich inmitten der alten Welt als neue Schöpfung bewährt?
Keine Angleichung an die Welt (Röm 12,2)
Die Antwort des Apostels ist – in der Theorie – so einfach wie in der Praxis schwer; denn sie lässt sich auf die einfache Forderung zurückführen:
Seid untereinander so gesinnt, wie es dem Leben in Christus Jesus entspricht: Er war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, Gott gleich zu sein, sondern er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich. Sein Leben war das eines Menschen; er erniedrigte sich und war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz. Darum hat ihn Gott über alle erhöht und ihm den Namen verliehen, der größer ist als alle Namen, damit alle im Himmel, auf der Erde und unter der Erde ihr Knie beugen vor dem Namen Jesu und jeder Mund bekennt: Jesus Christus ist der Herr zur Ehre Gottes, des Vaters. (Phil 2,5–11)
Wer will, dass Jesus Christus der Grund seines Lebens sei; wer aus dem Geist Jesu Christi leben will, kann in keinem Fall davon absehen, dass Christus gerade das, was ihn ursprünglich auszeichnete und was die Fülle seines Lebens ausmachte, aufgegeben und verschenkt hat, damit die anderen am Leben bleiben. Dies bedeutet für Paulus innerhalb der Kirche:
… dass ihr eines Sinnes seid, einander in Liebe verbunden, einmütig, einträchtig, dass ihr nichts aus Streitsucht und nichts aus Prahlerei tut. Sondern in Demut schätze einer den andern höher ein als sich selbst. Jeder achte nicht nur auf das eigene Wohl, sondern auch auf das der anderen. (Phil 2,2–4)
Für das Leben in der Welt aber ergibt sich aus diesem Grundsatz:
Die Liebe sei ohne Heuchelei. Verabscheut das Böse, haltet fest am Guten! Seid einander in brüderlicher Liebe zugetan, übertrefft euch in gegenseitiger Achtung! Lasst nicht nach in eurem Eifer, lasst euch vom Geist entflammen und dient dem Herrn! Freut euch in der Hoffnung, seid geduldig in der Bedrängnis, beharrlich im Gebet! Nehmt Anteil an den Nöten der Heiligen; gewährt jederzeit Gastfreundschaft! Segnet eure Verfolger; segnet sie, verflucht sie nicht! Freut euch mit den Fröhlichen und weint mit den Weinenden! Seid untereinander eines Sinnes; strebt nicht hoch hinaus, sondern bleibt demütig … (Röm 12,9–21)
Dass diese Orientierung an der Selbstentäußerung Christi für Paulus praktisch nachvollzogen werden sollte; dass also ein Text wie Röm 12,9–21 für Paulus nicht nur aus „goldenen Worten” für den Sonntagvormittag bestand, können wir an dem Beispiel seiner Kollekte für die Jerusalemer Urgemeinde (vgl. 1 Kor 16,1–4; 2 Kor 8 – 9) deutlich erkennen, die ihm bei dem sogenannten „Apostelkonzil“ aufgetragen worden war (vgl. Gal 2,9f).
Christsein im Alltag
Auch wenn das Zuhause, die „Staatsbürgerschaft“ (das politeuma) der Getauften der Himmel ist (vgl. Phil 3,20), so vollzieht sich ihr Alltag doch auf Erden. Diese Welt bleibt auch weiterhin der Lebensraum der Christen. Wir mögen das als normal empfinden, solange wir in einer Welt leben, in der das Christentum noch (mehr oder weniger) zu Hause ist. Wenn wir jedoch bedenken, wie klein die ersten christlichen Gemeinden waren – die korinthische Gemeinde umfasste beispielsweise höchstens 200 Mitglieder bei ungefähr 100.000 Einwohnern Korinths –, dann ahnen wir vielleicht schon eher, welche Spannungen sich für die ersten Christen aus der Tatsache ihrer Taufe ergeben haben mussten; denn durch sie waren sie ja nach ihrer eigenen Überzeugung zu einer neuen Schöpfung geworden! Und Paulus sah offensichtlich keine Möglichkeit, wie er seinen Gemeinden helfen könnte, dass sie sich auch als neue Schöpfung in der alten Welt heimisch zu fühlen vermöchten. Im Gegenteil! Er forderte die Christen ausdrücklich auf: „Gleicht euch nicht dieser Welt an!“ (Röm 12,2). Infolgedessen lautet die eigentliche Frage nach Paulus nicht mehr, ob wir in unserer Welt Gottes Willen rein erfüllen können, sondern ob wir ihn erfüllen wollen.
Ein Leben ohne Ausflüchte: Ehe und Sexualität
Zu den hartnäckigsten Vorurteilen gegenüber Paulus gehört ohne Zweifel dieses: Paulus war ein Frauenfeind, er hatte ein gestörtes Verhältnis zur Sexualität und war deshalb unverheiratet (wo die Ehe doch für jeden jüdischen Mann das Normale war!). – Was ist darauf zu sagen? Wie verhält es sich mit dem „gestörten Verhältnis” des Apostels zur Ehe und Sexualität?
Mit seinen Äußerungen zur Ehe und Ehelosigkeit wollte Paulus weder eine „Theologie der Ehe und Jungfräulichkeit” bieten, noch sich zum Thema „Die Liebe zwischen Mann und Frau” äußern, vielmehr antwortete Paulus in 1 Kor 7 auf ganz bestimmte Probleme, die in der korinthischen Gemeinde aufgetreten und ihm zur Lösung vorgelegt worden waren, nämlich:
(1.) Wenn man es ernst nimmt, dass es in der neuen Schöpfung keine Ehe mehr geben wird (vgl. Mk 12,25), wäre es dann nicht besser, in den schon bestehenden Ehen auf jeden körperlichen Kontakt zu verzichten (vgl. 1 Kor 7,1b)?
(2.) Sollte man nicht überhaupt auf die Ehe verzichten?
(3.) Welche Ehen können geschieden werden (vgl. 1 Kor 7,10–16)?
Darauf – und nur darauf – antwortete nun Paulus:
(1.) Auf die körperliche Hingabe zu verzichten, kann auch in einer christlichen Ehe kein erstrebenswertes Ziel sein; denn zum einen gehört sich keiner der Ehepartner mehr selbst (1 Kor 7,3f)! Beide Partner haben sich ja einander für immer geschenkt. Dazu kommt, dass das Verlangen nach der leibhaftigen Vereinigung von Mann und Frau ein derart elementares menschliches Verlangen ist, dass es den damit allein gelassenen Partner zutiefst gefährdet. Deshalb:
Entzieht euch einander nicht, außer im gegenseitigen Einverständnis und nur eine Zeit lang, um für das Gebet frei zu sein! Dann kommt wieder zusammen … (1 Kor 7,5)
Und er fügt sofort hinzu:
Ich wünschte, alle Menschen wären unverheiratet wie ich. Doch jeder hat seine eigene Gnadengabe von Gott, der eine so, der andere so. (1 Kor 7,7)
Es ist eine Gnadengabe, ein Charisma Gottes, wenn man als Unverheirateter leben kann. Diese Lebensform ist nicht einfach eine Sache des guten oder starken Willens!
(2.) Wer die Frage stellt, ob es nicht besser wäre, auf die Ehe überhaupt zu verzichten, muss sich vor allem darüber im klaren sein, dass der, der heiratet, nicht sündigt (1 Kor 7,28.36) und dass es besser ist, zu heiraten, als von dem Verlangen nach einem bestimmten Menschen verzehrt zu werden (1 Kor 7,9). Deshalb kann der Vater seine Tochter unbesorgt in die Ehe geben (1 Kor 7,38); deshalb sündigt auch der Verlobte nicht, der seine noch im Haus der Eltern lebende Verlobte drängt, die Ehe einzugehen (und nicht länger auf das Ende der Welt zu warten; vgl. 1 Kor 7,36f), und deshalb steht es auch der Frau, deren Mann gestorben ist, frei, zu heiraten, wen sie will (1 Kor 7,39).
Wer also die Ehe deshalb in Frage stellt, weil er in ihr etwas Minderwertiges oder gar Sündhaftes sieht, kann sich bei seiner Warnung vor der Ehe nicht auf Paulus berufen.
(3.) Aller Diskussion entnommen war für Paulus lediglich dies: In einer christlichen Ehe, die willens ist, sich an Jesu Wort zu orientieren, kann es keine Ehescheidung geben (1 Kor 7,10f). Für alle anderen Fälle aber gilt: Zu einem Leben in Frieden hat Gott euch berufen (1 Kor 7,15).
Das bedeutet: Wenn der nichtchristliche Partner sich von seinem getauften Partner trennen will, da er dessen neue Wertvorstellungen und ungewohnte Verhaltensweisen nicht akzeptieren kann, so ist eine Trennung möglich. Der christliche Partner soll den anderen gehen lassen, und auch er selbst ist frei. Ist der nichtchristliche Partner jedoch bereit, die Ehe fortzuführen, dann soll der christliche Partner dem anderen trotz der ,,Religionsverschiedenheit” die Treue halten (1 Kor 7,12–16).
Univ.-Prof. Dr. Michael Ernst,
Universität Salzburg und Päpstliche Hochschule Heiligenkreuz