Gelobt seist du, mein Herr!
Höchster, allmächtiger, guter Herr,
dein sind das Lob, die Herrlichkeit und Ehre und jeglicher Segen.
Dir allein, Höchster, gebühren sie,
und kein Mensch ist würdig, dich zu nennen.
Gelobt seist du, mein Herr,
mit allen deinen Geschöpfen,
zumal dem Herrn Bruder Sonne,
welcher der Tag ist und durch den du uns leuchtest.
Und schön ist er und strahlend mit großem Glanz:
Von dir, Höchster, ein Sinnbild.
Gelobt seist du, mein Herr,
durch Schwester Mond und die Sterne;
am Himmel hast du sie gebildet,
klar und kostbar und schön.
Gelobt seist du, mein Herr,
durch Bruder Wind und durch Luft und Wolken
und heiteres und jegliches Wetter,
durch das du deinen Geschöpfen Unterhalt gibst.
Gelobt seist du, mein Herr,
durch Schwester Wasser,
gar nützlich ist es und demütig und kostbar und keusch.
Gelobt seist du, mein Herr,
durch Bruder Feuer,
durch das du die Nacht erleuchtest;
und schön ist es und fröhlich und kraftvoll und stark.
Gelobt seist du, mein Herr,
durch unsere Schwester, Mutter Erde,
die uns erhält und lenkt
und vielfältige Früchte hervorbringt
und bunte Blumen und Kräuter.
Gelobt seist du, mein Herr,
durch jene, die verzeihen um deiner Liebe willen
und Krankheit ertragen und Drangsal.
Selig jene, die solches ertragen in Frieden,
denn von dir, Höchster, werden sie gekrönt.
Gelobt seist du, mein Herr,
durch unsere Schwester, den leiblichen Tod;
ihm kann kein Mensch lebend entrinnen.
Wehe jenen, die in tödlicher Sünde sterben.
Selig jene, die er findet in deinem heiligsten Willen,
denn der zweite Tod wird ihnen kein Leid antun.
Lobt und preist meinen Herrn
und dankt ihm und dient ihm mit großer Demut.
Franziskus-Quellen
Man zählt ihn zur Weltliteratur und er gilt als wichtigstes Zeugnis der Altitalienischen Sprache: der Sonnengesang des kleinen Spielmanns Gottes von Assisi. Oft wird er lediglich als ein herausragendes Zeugnis von Lyrik in der Sprachwissenschaft betrachtet und untersucht, oder von Umweltaktivisten auf reine Naturschwärmerei reduziert und somit missbraucht. Dabei geht es vor allem um den Lobpreis des Schöpfergottes, um christliche Schöpfungsmystik.
"Der blinde Franziskus im Lobpreis des Schöpfers" von Roland P. Litzenburger
Bruder Immerfroh?
Das Franziskusbild unserer Generation ist vor allem geprägt durch den Film von Franco Zeffirelli „Bruder Sonne, Schwester Mond“ (1972). Darin streift der neubekehrte Franziskus liebestrunken durch lichtdurchflutete Haine und preist Gott für alle Geschöpfe. Die vorgespielte Leichtigkeit des Bruders „Immerfroh“ hatte beeindruckt, war anziehend. Tatsächlich entstand das Lied in einer Situation der Krankheit, Gebrochenheit und gegen Ende eines geistlichen Lebens mit allen Höhen und Tiefen.
Trost im Leiden
Im Spätherbst/Winter 1224 liegt Franziskus fast erblindet und von diversen Krankheiten gequält in einer Hütte bei San Damiano. Wie schon öfter war er von tiefer Traurigkeit gefangen und von depressiver Stimmung. Franziskus sucht Zuflucht im Gebet, gepeinigt von lästigen Mäusen, die ihm den letzten Nerv rauben. Da neigt sich ihm der Herr zu mit der tröstlichen Verheißung: „Meines Reiches Brautpfand ist deine Krankheit und als Preis der Geduld erwarte sicher und gewiss dein Erbteil an diesem Reich.“
Echo eines Erlösten
Diese Zusage Gottes löst im siechenden Franziskus, der da hingeschüttet liegt wie ausrinnendes Wasser, dankbaren Jubel aus. Immer wieder hatte er ja dem zermürbenden und lähmenden Zweifel nachgehangen, als elender Sünder über alle Gnadenerweise hinweg letztlich verdammt zu sein. Vor kurzer Zeit erst wollte ihn der Versucher in geistlicher Umnachtung den Felsen von La Verna hinabstürzen lassen. Hinein in existenzielle Not also die befreiende Gewissheit, teilzuhaben am Reich Gottes!
In der Tradition der Psalmen
Franziskus war ein zutiefst biblischer Mensch, sein Reden, Dichten und Schreiben ist durchwirkt von Anklängen an Schrifttexte, die er dem Anlass entsprechend bzw. der Situation angemessen neu zusammen setzt und gleichsam verwebt. Gerade die Psalmen waren ihm spirituelle Nahrung und Fundgrube zugleich. Vielleicht mag gerade der Psalm 104 dem Sonnengesang zugrunde liegen, der das staunende Lob auf den erhabenen Schöpfergott auf ähnliche Weise ausfaltet und betrachtet mit der abschließenden Zielaussage: „ … der Herr freue sich seiner Werke, ich will dem Herrn singen, solange ich lebe.“
Goutierte Genesis
In der Liturgie der Osternacht wurde uns wieder das Sechstagewerk Gottes zu Ohren geführt, das geradezu freudige Schaffen des Urgrundes allen Seins, um jeglicher Kreatur Mit-Existenz und einen Platz im größeren Ganzen zu schenken. „Und Gott sah, dass es gut war“, heißt es dabei nach jeder Schaffensperiode, gleichsam die tiefe Zufriedenheit des Schöpfers mit seinem Werk auszudrücken. Franziskus, beinahe erblindet (!), hatte wohl diese Szene vor seinem geistigen Auge, wenn er über die ersten acht Strophen des Liedes hinweg genau diesen Kreator ganz persönlich als Ursprung alles sichtbar Geschaffenen direkt anredet und in einzelnen Betrachtungsschritten preist. Die poetische Dichtung erscheint geradezu als bejahende Antwort eines Liebhabers Gottes und seiner Schöpfung auf das schöpferische Tun Gottes in der Genesis, das heißt stellvertretend für die Menschheit kann Franziskus genau in seiner gebrochenen Situation sagen und betend erkennen: „Es ist wirklich alles gut, was du gemacht hast.“
Versöhnte Gelassenheit
Gerade Situationen der Krankheit machen hilflos, verursachen eigenen Kontrollverlust und bringen uns an schmerzliche Grenzen, gegen die wir uns aufbäumen. Die neunte Strophe des Sonnengesangs lässt eine gegenteilige Bewegung in Franziskus selber erkennen. Aufgerichtet und getröstet von der erfahrenen Nähe Gottes und der geschenkten Zusage bleibender Gemeinschaft mit ihm darf der kleine Arme von Assisi einen unsagbaren inneren Frieden verkosten, der alles körperliche wie seelische Leiden vergessen macht. Dabei betont Franziskus den Zusammenhang von Friede und Versöhnung! „Um der Liebe Christi willen“ gelingt ihm im Ertragen Versöhnung und damit auch jener Friede, der unaufgeregte Gelassenheit schenkt.
Willkommen, Bruder Tod!
Über den Lobpreis der Schöpfung und das eigene Ruhigwerden durch Versöhnung vermag der dichtende Franziskus nun seine Poesie zu Ende führen in einer später hinzugefügten letzten Strophe des Liedes. Dabei darf die zehnte Strophe keinesfalls als Anhängsel mit thematischem Bruch angesehen werden. Vielmehr zielt alles Durchlebte und Gesagte hin auf diese Schwelle, die jeden Menschen verunsichert, vielleicht gar mit Unbehagen erfüllt: den leiblichen Tod. Franziskus banalisiert ihn nicht einfach, er benennt vielmehr ganz klar die Unausweichlichkeit. Aber er nimmt das Sterben eines jeden Menschen in einen differenzierteren Blick, indem er den leiblichen Tod quasi als Chance sieht, als Brücke zur bleibenden Gemeinschaft mit Gott. Wer sich selber von diesem grundsätzlichen Angebot Gottes, der auch die Schaffung des Menschen für gut befunden hatte, abschneidet, „tödlich sündigt“, der wird den bleibenden, den „zweiten“ Tod sterben, wie es Franziskus ausdrückt.
Keine Hymne des Klimaschutzes
Das Wollen des Schöpfergottes hin auf seine Kreaturen ist unerschütterlich positiv, Leben schenkend und Leben erhaltend. „Selig, die sich in (diesem) seinen heiligsten Willen finden“, resümiert Franziskus. Dies ist zugleich die bleibend aktuelle Aussagerichtung des Sonnengesangs, das gute schöpferische Wollen Gottes zu erkennen und entsprechend zu denken, zu reden und zu handeln. Das ist für uns Christen Grundauftrag gerade im Bereich des ideologisch relativierten Lebensschutzes und der ebenso ideologisch auf „Klimaschutz“ verkürzten Achtsamkeit für die gesamte gute Schöpfung Gottes.
P. Oliver Ruggenthaler OFM