Kleinere und größere Zeichen der Hoffnung
Ende August hat eine kleine ICO-Delegation mit Obmann Slawomir Dadas an der Spitze den Nordirak besucht. Als besonderer Gast mit dabei war Bischof Werner Freistetter, der in der Österreichischen Bischofskonferenz für Hilfswerke wie jenes der ICO zuständig ist. Auch ein kurzer Besuch in der immer noch stark zerstörten Stadt Mosul war möglich.
Die Reise hat einmal mehr gezeigt, wie wichtig Besuche vor Ort sind, um die guten Beziehungen zu den ICO-Projektpartnern zu pflegen und den Christen vor Ort Mut zu machen. Letztlich sind die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Reise aber selbst reich beschenkt zurück nach Österreich bekommen. Reich an vielen neuen Freunden und beeindruckt vom Lebensmut und tiefen Glauben, mit dem die verbliebenen Christen im Irak ihren schwierigen Alltag meistern.
Unsere Reisegruppe bestand neben ICO-Obmann Dadas und Bischof Freistetter aus der neuen ICO-Geschäftsführerin Ursula Hois, ICO-Projektreferent Stefan Maier, Georg Bruckner von der Wiener Pfarre Ober St. Veit, die seit Jahren eine Partnerschaft mit der Pfarre Enishke pflegt, der Journalistin Hermine Schreiberhuber (APA), dem Journalisten Stephan Baier (Die Tagespost) und ICO-Chefredakteur Georg Pulling, seines Zeichens Autor des folgenden Reiseberichts:
Mehrere Stunden dauerte die Fahrt von unserem Quartier im sicheren Kurdistan bis in die Millionenmetropole Mosul am Tigris. Wir passierten zahlreiche Checkpoints der kurdischen Sicherheitskräfte, dann kamen die Checkpoints der irakischen Armee und in Mosul waren es vor allem schiitische Milizen, die die Kontrollpunkte besetzt halten und in den Straßen patroullierten.
Schließlich kamen wir bei Erzbischof Michael Najeeb Moussa an, der die chaldäische Pauluskirche zu seinem Bischofssitz gemacht hat. Die Kirche wurde renoviert und ist bei weitem groß genug für die wenigen Christen, die bisher nach Mosul zurückgekehrt sind. Erzbischof Moussa sprach von nicht mehr als 50 christlichen Familien.
Alle 35 Kirchen Mossuls wurden von den IS-Terroristen während ihrer Schreckensherrschaft von 2014 bis 2017 zerstört bzw. bei der Rückeroberung dem Boden gleich gemacht. Neben der Pauluskirche wurden inzwischen zwei weitere Kirchen sowie in Teilen das chaldäische Georgskloster renoviert, eines der großen spirituellen Zentren der Kirche in vergangenen besseren Jahren.
Der Papstbesuch in Mosul im März 2021 ist für die kleine christliche Schar in der Stadt immer noch präsent. In der Pauluskirche wurde eine kleine Ausstellung eingerichtet. Unter anderem mit dem Kreuz, vor dem der Papst betete, zahlreichen Fotos oder auch dem Stuhl, auf dem das Kirchenoberhaupt Platz genommen hatte. Der Papst hat den Christen vermittelt, dass sie nicht vergessen sind und dass es Hoffnung auf eine bessere Zukunft gibt. Auch viele Muslime seien vom Papst sehr positiv angetan gewesen, berichtete Erzbischof Moussa.
Vor der verwüsteten Immaculata-Kirche stellte er uns einen älteren Muslim vor, der sich eifrig um die Kirche kümmert und Sakralgegenstände aufkauft, um sie der Kirche zu schenken. Der Mann weinte. Er schäme sich für das, was Muslime hier angerichtet haben“, erklärte der Erzbischof. Die Kirche aus dem 7. Jahrhundert wurde von den IS-Terroristen als Werkstatt zum Bombenbauen missbraucht.
Auch die alte chaldäische Kathedrale, die wir besuchten, glich innen einem Trümmerhaufen. Schmierereien an den Wänden und Bauschutt im Kirchenschiff erinnern an das Wüten der IS-Barbaren. In der syrisch-katholischen Kirche hatte der IS einen Strafgerichtshof eingerichtet, Menschen abgeurteilt und gefoltert.
Erzbischof Moussa setzt sich dafür ein, dass die Christen bei der Renovierung ihrer verwüsteten Häuser Hilfe bekommen und er möchte noch viele weitere Kirchen erneuern, wie er sagte. - Als Zeichen der Hoffnung für die Christen. Damit bald
weitere Christen in ihre Heimat zurückkehren. Derzeit ist Mosul laut dem Erzbischof auch eine der sichersten Städte des Irak, zumindest angesichts der gewaltsamen Ausschreitungen in Bagdad und vielen weiteren Städten des Landes.
Das dramatische Sicherheitslage hat auch der chaldäische Patriarch Louis Sako zu spüren bekommen. Eigentlich wollte er mit dem Auto von Bagdad nach Erbil fahren, um die ICO-Delegation zu treffen. Die Straßensperren waren aber sogar für den Patriarchen nicht zu passieren. So kam es leider zu keinem Treffen.
Besuche in Dohuk und Alkosh
Die Millionenstadt Dohuk ist das Verwaltungszentrum im Nordirak. Hier besuchten wir ein von der ICO mitfinanziertes Altersheim. Das Altersheim wird von Ordensschwestern betrieben. Noch ist die Innenausstattung nicht zur Gänze abgeschlossen, die ersten 13 Frauen sind aber bereits eingezogen. Die Begegnung mit den Schwestern und den Heimbewohnerinnen fiel überaus herzlich aus. Es handelt sich bei den Bewohnerinnen um alleinstehende Frauen. Ihre Familienangehörigen sind längst in den Westen ausgewandert. Gut versorgt von den Schwestern und den weiteren Mitarbeitern können sie im Heim einen Lebensabend in Würde verbringen.
In Dohuk statteten wir auch der Hilfsorganisation CAPNI (Christian Aid Program Northern Iraq) einen Besuch ab. CAPNI ist seit vielen Jahren ein verlässlicher Partner der ICO. Zuletzt hat die ICO Ausbildungsprogramme für christliche Rückkehrer in die Ninive-Ebene finanziert.
Das Bürogebäude von CAPNI wurde erst vor Kurzem fertig-gestellt. Auf mehrere Etagen verteilt arbeiten bis zu 40 Personen. Weitere 40 CAPNI-Mitarbeiter sind vor Ort in den Dörfern tätig, wo sie die verschiedenen Hilfsprojekte ab-wickeln. Die Büros sind modernst eingerichtet, die Atmosphäre ist freundlich und vor allem wirkt alles professionell.
Weiters waren wir bei Bischof Azad Shaba zu Gast. Der chaldäische Bischof von Dohuk betreut 900 chaldäische Familien in der Millionenstadt und 600 weitere im Umland. Trotz Armut und Arbeitslosigkeit kämen immer mehr irakische Christen aus Sicherheitsgründen in die kurdischen Autonomie-gebiete, erzählte er. Viele landen dann bei ihm, weil sie kein Geld für das alltägliche Leben haben. Die wirtschaftlichen Perspektiven im Land sind düster. Hier bräuchte es dringend auch mehr Hilfe aus dem Ausland; freilich auch den entsprechenden Willen der irakischen Politik zur Entwicklung des Landes.
Ein Besuch der Delegation im Kloster Mor Hormizd bei Alkosh, das an einem Berghang an der Grenze von Kurdistan zur Ninive-Ebene klebt, verdeutlichte, wie sehr das Christentum in dieser Region verwurzelt ist. Das Kloster stammt aus dem 5. Jahrhundert, manche halten es für noch älter.
Alkosh ist ebenfalls eine uralte Stadt, in der bis heute nur Christen leben. Wir kamen zufällig bei einer Hochzeit vorbei. Bischof Freistetter und Obmann Dadas waren begehrte Fotomotive für die Hochzeitsgesellschaft. Ein christliches Ehepaar bzw. demnächst wohl eine neue christliche Familie gibt Hoffnung, dass die Christen im Land eine Zukunft haben.
Schließlich besuchten wir in Alkosh auch noch das frisch renovierte Grab des Propheten Nahum. Der Irak hat eine gut 2.500 Jahre alte jüdische Geschichte bzw. Tradition. Noch im Mittelalter gab es große jüdische Gemeinden, über das weite Land verstreut. Davon ist nichts mehr geblieben. Die letzten Juden mussten Mitte des 20.Jahhrhunderts das Land verlassen. In Alkosh wird aber schon lange das Grab des alttestament-lichen Propheten Nahum verehrt, der vor mehr als 2.600 Jahren wirkte. Das Grab befindet sich in einer früheren Syna-goge. Sowohl die Synagoge als auch die Grabstätte waren lange Zeit dem Verfall preisgegeben, wurden in den vergangenen Jahren aber aufwendig restauriert. Wir konnten, obwohl es schon Nacht geworden war, einen kurzen Blick hineinwerfen.
Als Kontrast zu Mor Hormizd bzw, Alkosh fuhren wir zuguterletzt mit einer vor kurzem von einer österreichischen Firma errichteten Seilbahn auf einen Berg bei Dohuk. Oben erwartet uns eine Art „Disneyland“ mit Parks, Wasserfontänen und Restaurants bzw. Cafes. Auch das ist Kurdistan.
Unterwegs in Kurdistan
In Kurdistan besucht die Österreich-Delegation unter anderem die Dörfer Mangesh, Bersawa und Nafkandala, wo die ICO verschiedenste Projekte finanziert: von der Unterstützung von Kindergärten, der Finanzierung von Gewächshäusern bis zur Renovierung von Kirchendächern. Man sieht, dass die Spenden angekommen sind und Positives bewirken.
Wenig erfreulich: Unterwegs in Kurdistan kamen wir auch immer wieder an riesigen Flüchtlingslagern vorbei. Tausende Menschen leben in diesen Containersiedlungen. Und das schon seit vielen Jahren. Es sind vor allem Jesiden, die 2014 vor dem IS fliehen mussten. Seither verharren sie in den Lagern, ohne Zukunftsperspektive. Was muss das vor allem für die zahlrei-chen Kinder bedeuten?
In der nördlichen Provinzhauptstadt Zakho empfing uns Bischof Felix Al-Shabi, der nach zwei Jahrzehnten in den USA in seine nordirakische Heimat zurückkehrt ist und seit kurzem als Bischof wirkt. Seither wird er auf vielfältige Weise von der ICO unterstützt. Etwa 10.000 Christen leben in seiner Diözese. Im chaldäischen Kindergarten von Zakho, den die ICO finanziert hat, spielen zehn christliche mit 70 muslimischen Kindern. Muslime, die ihre Kinder in den christlichen Kindergarten schicken, seien weltoffen und würden die Christen akzeptieren, sagte der Bischof.
Das macht ihm Hoffnung, dass es bei der muslimischen Mehrheitsbevölkerung irgendwann doch zu einer Änderung der Mentalität kommen wird und ein Zusammen-leben auf Augenhöhe aller Bewohner des Irak möglich ist.
Im Ort Mangesh statteten wir Pfarrer Imad Khosaba einen Besuch ab. Der Priester wurde zuletzt dadurch bekannt, dass er beim Besuch von Papst Franziskus im Irak als dessen persön-licher Dolmetscher diente. Pfarrer Imad lobte die kurdische Regierung dafür, dass sie den Christen wohlgesonnen sei. Sein größtes Problem scheint derzeit seine Kirche zu sein. Aus Platzgründen würde der Pfarrer gerne eine neue und größere Kirche bauen.
Im Anschluss an Pfarrer Imad besuchten wir am Rande von Mangesh Clara Odisho, eine von insgesamt sechs christlichen Abgeordneten des kurdischen Parlaments in Erbil. Die Regierung in Erbil behandle die Christen mit Wohlwollen, meinte auch sie, aber mitunter komme es schon zu einer Bevorzugung von Muslimen, so Odisho. Die chaldäische Katholikin kämpft auf der politischen Bühne vor allem für das Recht der Christen auf Land und volle Religionsfreiheit. „Christen sollen nicht Bürger zweiter Klasse sein“, sagte sie. Die hohe Massenarbeitslosigkeit und die Emigration der Jugend seien die Hauptprobleme des Iraks und auch seiner kurdischen Autonomiegebiete, hörten wir einmal mehr auch aus dem Mund der Abgeordneten.
Der zweiten Politiker, den wir auf unserer Reise trafen, war Transportminister Ano Jawhar Abdulmaseeh Abdoka. Er empfing uns in seinem Ministerium in Erbil, der Hauptstadt der Autonomen Region Kurdistan. Er ist der einzige christliche Minister in der kurdischen Regionalregierung. Immer mehr Menschen würden aus dem Zentralirak in den kurdischen Norden des Landes emigrieren, erzählte er; nicht nur Christen: Rund zwei Millionen nicht-kurdische, arabischsprachige Iraker hätten bereits in Kurdistan Zuflucht gesucht.
Die kurdische Regierung schenke Land für den Bau von Kirchen und kirchlichen Einrichtungen, sehe die Christen als Partner und garantiere Toleranz, sagte der Minister. In der Regierung von Kurdistan sitze kein einziger Islamist, sondern nur Vertre-ter säkularer Parteien, während in Bagdad 90 Prozent der Macht in den Händen von Extremisten sei.
Kein einziges gutes Haar ließ Ano Jawhar an der in Europa als Terrororganisation geltenden kurdischen PKK, die sich in den Bergen des Nordiraks versteckt hält. Die PKK sei eine türkische Partei und ein türkisches Problem. Es sei nicht zu akzeptieren, dass der Konflikt zwischen der PKK und der Türkei im Nordirak ausgetragen wird.
Bei unseren Freunden in Enishke
Unser Hauptquartier hatten wir bei unserem Besuch im Dorf Enishke in Kurdistan. Pfarrer Samir Youssif war uns ein unge-mein liebenswerter wie auch professioneller Gastgeber und Reiseleiter. Das von der ICO finanzierte Pastoralzentrum war unsere Zentrale, hier wurde gegessen, Messe gefeiert und mit den Einheimischen getanzt. Die Menschen freuten sich sehr über den Besuch aus Österreich.
Das Pastoralzentrum wurde von der ICO vor einigen Jahren gebaut. Pfarrer Samir und sein Team halten es gut in Schuss, keine Selbstverständlichkeit im Orient. Der Geistliche hat es in den vergangenen Jahren mit seinen Mitstreitern auch geschafft, tausenden IS-Flüchtlinge – Christen, Jesiden und auch einige Muslime – über längere Zeit im Ort aufzunehmen und zu betreuen. Eine Gewaltleistung. Die ICO hat ihn dabei unterstützt. Inzwischen sind die meisten weitergezogen, einige wenige aber auch geblieben und in den Ort integriert.
Pfarrer Samir hat auch für die Zukunft große Pläne. Er möchte den von der ICO finanzierten Kindergarten in Enishke um eine zweite Etage aufstocken und einen Kleinbus einsetzen, um noch mehr Kindern den Besuch des Kindergartens zu ermöglichen. Die ICO ist wieder mit an Bord. Ja und dann sprach der umtriebige Geistliche zudem noch davon, dass er gerne auch eine Schule im Ort errichten möchte …
Enishke liegt recht idyllisch in einem Tal, auf beiden Seiten umgeben von hohen Bergen. Alles wirkt friedlich, doch die Idylle trügt ein wenig. Tatsächlich nutzt die PKK auch diese Berge als Rückzugsraum. Pfarrer Samir berichtete, dass er
früher gerne mit Jugendlichen Wanderungen in den Bergen rund um Enishke unternommen hatte. Das sei jetzt nicht mehr möglich. Viel zu gefährlich. Das türkische Militär, das im Nordirak zahlreiche Stützpunkte unterhält, überwacht die gesamte Region mit Drohnen. Überall werden PKK-Kämpfer vermutet. Werden mehrere Personen in den Bergen lokalisiert, werden diese meist als PKK-Kämpfer angesehen und attackiert.
In Enishke traf die Delegation auch mit jenen Studentinnen und Studenten zusammen, die seit Jahren von der Wiener Pfarre Ober St. Veit unterstützt werden. So können sie eine gute Aus-bildung absolvieren. Bischof Freistetter ermutigt die jungen Frauen und Männer, sich für den Wiederaufbau ihrer Heimat einzusetzen. Das Treffen mit den jungen Menschen machte Hoffnung.
Sehr zu Herzen ging auch der gemeinsame Gottesdienst, den wir im Pastoralzentrum feierten. Es war ein Gottesdienst im chaldäischen Ritus, der dem römisch-katholischen aber sehr ähnlich ist. Eigentlich müsste man es aber umgekehrt sagen, denn der chaldäische Ritus ist der ältere und ursprünglichere. Bischof Freistetter und ICO-Obmann Dadas bedankten sich am Ende der festlichen Messe für die freundliche Aufnahme in Enishke. Und dann ging es erst richtig los: Die Pfarre veranstaltet ein Fest für die Gäste aus Österreich; mit Speis und Trank, Musik und Tanz und vielen herzlichen Begegnungen.