Donnerstag 21. November 2024

»Und suchst du meine Sünde« (GL 274)

Worte: Scha­lom Ben Cho­rin; Musik: Chris­tian Dostal

Jüdi­sche Worte und Motive prä­gen jedes christ­li­che Gesang­buch: von den Psal­men bis zum „Amen“ und dem „Halleluja“-Ruf. Im Got­tes­lob fin­det man aber nicht nur alt­tes­ta­ment­lich inspi­rierte Worte, son­dern auch jüdisch-orientalisch anmu­tende Klänge. Die­ses Lied ist dafür ein gutes Bei­spiel. Am Anfang steht ein Gedicht. Der Autor der drei Verse wurde 1913 in einer jüdi­schen Kauf­manns­fa­mi­lie aus Mün­chen als Fritz Rosen­thal gebo­ren. Schon als Jugend­li­cher wandte er sich dem ortho­do­xen Juden­tum zu. 1935 emi­grierte er nach Jeru­sa­lem, wo er als Reli­gi­ons­phi­lo­soph und Publi­zist wirkte. Sei­nen Namen änderte er in Scha­lom Ben Cho­rin, was „Sohn der Frei­heit“ bedeu­tet; den neuen Vor­na­men „Scha­lom“ (Friede) ver­steht sein Trä­ger als Über­set­zung sei­nes alten Vor­na­mens, weil die Kurz­form Fritz auf Fried­rich bzw. Frie­dens­reich zurück­geht. Scha­lom Ben-Chorin war Schü­ler des jüdi­schen Reli­gi­ons­phi­lo­so­phen Mar­tin Buber, des­sen berühm­ter Buch­ti­tel „Ich und Du“ sich in die­sem Lied unschwer aus­ma­chen lässt. Mit sei­nen theo­lo­gi­schen Publi­ka­tio­nen und zahl­rei­chen Vor­trä­gen, etwa auf deut­schen Kir­chen­ta­gen, wurde Ben-Chorin zu einem wich­ti­gen Weg­be­rei­ter der jüdisch-christlichen Begeg­nung und des inter­re­li­giö­sen Dia­logs. Dut­zende von Büchern, die er geschrie­ben hat, erlang­ten weite Ver­brei­tung. Das Gedicht „Und suchst du meine Sünde“ hat Ben-Chorin in Jeru­sa­lem im Jahr 1950 ver­fasst. Er bezieht sich dabei auf Worte des spanisch-jüdischen Phi­lo­so­phen und Dich­ters Salomo Ibn Gab­i­rol (ca. 1020–1058), bei dem zu lesen ist: „Und wenn Du mich tötest – ich hoffe auf Dich, / fragst Du nach mei­ner Schuld – flieh ich von Dir zu Dir / und berge mich vor Dei­nem Zorn in Dei­nem Schat­ten.“ Diese Verse wer­den in der Lit­ur­gie des jüdi­schen Ver­söh­nungs­ta­ges (Yom Kip­pur) rezi­tiert. Der bib­li­sche Hin­ter­grund ist Psalm 139. Got­tes Gegen­wart ist all­um­fas­send. Wer vor ihm flieht, der flieht zu ihm, weil Gott über­all ist. Er ist Ursprung und Mün­dung, bis­wei­len fern und dann wie­der nah. Doch immer da. Die zweite Stro­phe beschreibt den Men­schen, der sich aus der Got­tes­nähe gleich­sam her­aus­dre­hen will: „Wie ich mich wend und drehe“. Und doch kann er nicht aus Got­tes Zunei­gung her­aus­fal­len. Die letzte Stro­phe nennt wei­tere schein­bare Gegen­sätze, die in Gott auf­ge­ho­ben sind: Er kennt meine Wege und mein Ruhen, er ist Gericht und Gnade. Die Sünde sucht er, um die Sün­der zur Umkehr zu rufen. Die­ses Lied kennt nur einen Gedan­ken: die Nähe Got­tes. Das wird nicht lang und breit aus­ge­führt, son­dern in den drei Stro­phen vari­ie­rend ver­tieft. Am Ende steht die Quint­es­senz, die auch Über­schrift sein könnte: „du und immer du“. Wie aber soll die­ses Gedicht gesun­gen wer­den? Zusätz­lich zu bereits vor­han­de­nen Ver­to­nun­gen hat der Regens­bur­ger Diö­ze­san­mu­sik­di­rek­tor Chris­tian Dos­tal 2008 für das Got­tes­lob eine neue Melo­die geschaf­fen. Dabei wählt er ein ori­en­ta­li­sches Kolo­rit, was den Wor­ten über­aus gut ent­spricht und wie von ferne an syn­ago­gale Musik erin­nert. Die erste und dritte Zeile ent­spre­chen sich melo­disch, ja sie sind iden­tisch, bis auf den Beginn. Das könnte – in der Spra­che der Musik – bedeu­ten: Wel­chen Weg das Gebet auch immer ein­schlägt, es gelangt zum einen Ziel, das „Du“ heißt. Die zweite Zeile will hoch hin­aus, mit Sprün­gen und unge­wohn­ten Har­mo­nien, mün­det aber wie­der in den Halb­ton­schritt b-a. Erst die letzte Zeile nimmt den kür­zes­ten Weg zum Ziel. Wie­der steht ein Halb­ton­schritt am Ende, aber die­ses Mal gelan­gen wir über den etwas fremd und ori­en­ta­lisch anmu­ten­den Ton es, der nur hier erklingt, in den Grund­ton. Das Ziel, die Begeg­nung von Mensch und Gott, von Ich und Du, ist in Wort und Klang erreicht.

Mein­rad Walter

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