Mit dem Beten anfangen
"Der Meister versammelt seine Jünger und fragt sie: 'Wo ist der Anfang des Gebetes?' Der Erste antwortet: 'In der Not. Denn wenn ich Not empfinde, dann wende ich mich wie von selbst an Gott.' Der Zweite antwortet: 'Im Jubel. Denn wenn ich juble, dann hebt sich die Seele aus dem engen Gehäuse meiner Ängste und Sorgen und schwingt sich auf zu Gott.' Der Dritte: 'In der Stille. Denn wenn alles in mir schweigend geworden ist, dann kann Gott sprechen.' Der Vierte: 'Im Stammeln eines Kindes. Denn erst wenn ich wieder werde wie ein Kind, wenn ich mich nicht schäme, vor Gott zu stammeln, ist er ganz groß und ich bin ganz klein, und dann ist alles gut.' Der Meister antwortet: 'Ihr habt alle gut geantwortet. Aber es gibt noch einen Anfang, und der ist früher als alle jene, die ihr genannt habt. Das Gebet fängt bei Gott selbst an. Er fängt an, nicht wir.'"
Mit dieser bei Bischof Klaus Hemmerle (+ 1994) überlieferten Geschichte beginnt der Gebetsteil des neuen "Gotteslob". Seine Überschrift lautet: "Im Gebet antworten". Beten ist Antwort auf den Anruf Gottes oder einfach auf die Nähe Gottes. Der Gebetsteil versteht sich als eine "Schule des Betens", die zum Beten hinführt und Gebetstexte als Beispiele bietet. Sie stammen von Betenden verschiedener Jahrhunderte und unserer Zeit, aus dem katholischen Gebetsschatz und aus der christlichen Ökumene und aus unterschiedlichen Gebieten unserer Erde.
Gebetsschätze und Gebetsorte
Den Anfang machen die "Grundgebete", ausgehend vom Gebet des Herrn. Sie sind ein Schatz von Gebeten, die uns durch Leben begleiten können. Dazu gehört auch das Meditieren des Jesus-Geheimnisses im Rosenkranzgebet, das eine besondere Einleitung mit Skizze bekommen hat, um es auch jenen zu erschließen, denen es nicht mehr vertraut ist.
Dass der Besuch einer Kirche auch zum stillen und betenden Verweilen Anlass sein kann, wird unter der Überschrift "Im Haus Gottes" erschlossen. Hier werden kurze Gebete an den verschiedenen Orten im Kirchenraum angeboten. Auch für die Feier der Eucharistie bietet der Gebetsteil persönliche Gebete zum Kommunionempfang.
"Du, Herr, gibst mir immer wieder Augenblicke der Stille, eine Atempause, in der ich zu dir komme. Du stellst mir Bilder vor die Seele, die mich sammeln und mir Gelassenheit geben: Oft lässt du mir mühelos etwas gelingen, und es überrascht mich selbst, wie zuversichtlich ich sein kann. Ich merke, wenn man sich dir anvertraut, bleibt das Herz ruhig."
Dieses Gebet aus Japan gehört zu jenen Texten im "Gotteslob", die unseren Alltag vor den dreifaltigen Gott bringen in Grundsituationen aus dem menschlichen Leben: Lobpreis, Klage, Bitte und Dank, Hingabe und Umkehr. Dass der betende Mensch nicht allein dasteht, sondern in Gemeinschaft mit Maria, den Engeln und den Heiligen, zeigen Texte, die uns mit ihnen verbinden.
» Das neue Gotteslob als "Bibelschule"
Wer betet, bringt sein Leben vor Gott, bringt aber auch in Solidarität die Anliegen der Welt vor Gott. Der Gebetsteil des "Gotteslob" widmet dabei auch dem Beten in der Familie und mit Kindern ein besonderes Augenmerk. Ehe und Partnerschaft mit Gelingen und Enttäuschung, Arbeitsalltag und Arbeitslosigkeit, das Beten in der Jugend und im Alter, Gebete in Leid, Not und Krankheit und angesichts des Todes bringen das Leben vor Gott. Ein besonders berührendes Gebet der Autorin Andrea Schwarz möchte Eltern helfen, die ein kleines Kind verloren haben.
Die Verantwortung für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung, aber auch das solidarische Beten in den Anliegen der Kirche, der christlichen Ökumene und des Dialoges der Religionen geben der "Gebetsschule" im Gotteslob die nötige Weite.
Zeit zum Beten
Zum Beten meinen manche keine Zeit zu haben. Dabei hilft Beten gerade dabei, dem oft hektischen Ablauf unserer Zeit eine hilfreiche Struktur zu geben. Unter dem Titel "Meine Zeit in Gottes Händen" werden Gebete am Morgen und am Abend und bei Tisch mitgegeben, aber auch Gebete, mit denen wir einander Segen wünschen.
Das Beten geht im neuen "Gotteslob" aber noch weit über den unmittelbaren Gebetsteil hinaus. Wir finden dort sehr viele Psalmen, wir finden Litaneien und Andachten für das gemeinsame Beten. Eigene Hausandachten für die Familie gibt es zum Advent, zum Heiligen Abend, für Segensfeiern und zum Gedenken an Verstorbene.
Der Gebetsteil des neuen "Gotteslob" kann nicht alle Gebetbücher ersetzen. Sein Umfang ist beschränkt, und Beten entwickelt sich ja immer weiter. Aber er will als Schule des Betens hilfreich sein, dass wir mit dem Beten etwas anfangen können und vielleicht immer wieder mit dem Beten anfangen.
Herbert Meßner