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»Es wird sein in den letzten Tagen« (GL 549)
Drei Quellen der Inspiration hat dieses Lied. Zunächst der Bibeltext des Propheten Micha. Dann eine bronzene Skulptur im Garten des Hauptquartiers der Vereinten Nationen am Eastriver in New York: Ein Mann schmiedet kraftvoll ein Schwert zu einer Pflugschar. Am 4. Dezember 1959 schenkte die Sowjetunion der UNO diese Plastik von Jewgeni Wutschetitsch, deren „Original“ in der Tretjakow-Galerie Moskau steht. Und drittens das Bibelzitat »Schwerter zu Pflugscharen«, das mit einer Zeichnung der UNO-Statue zum Symbol der DDR-Friedensbewegung wurde.
Im Jahr 1963 verfasste Walter Schulz (geb. 1925) den Text dieses Liedes, der 1987 einer Revision unterzogen wurde. 1985 komponierte Manfred Schlenker (geb. 1925) die heute zumeist gesungene Melodie. Als das Lied in der damaligen DDR entstand, war Walter Schulz Landesjugendpastor der Evangelisch-Lutherischen Kirche von Mecklenburg. In den drei Strophen klingt aber auch seine Zeit als Soldat im Zweiten Weltkrieg nach. Schulz war bei der Marine und anschließend in amerikanischer Kriegsgefangenschaft. Nach der Rückkehr entschloss er sich zum Theologiestudium. Der heute in Schwerin lebende Theologe hat insgesamt etwa 30 Lieder verfasst. Der Kirchenmusiker Manfred Schlenker hat nach einer musikalisch geprägten Kindheit und Jugendzeit vor allem in Stendal und Greifswald gewirkt. Unter anderem hat er Texte von Dietrich Bonhoeffer vertont.
Die erste Strophe führt mitten in die Verheißung des altbundlichen Propheten Micha, der als »berufener Rufer« seine Friedensvision schildert, die wir ähnlich auch im Buch Jesaja finden. Alle Völker pilgern am Ende aller Tage zum Berg Gottes, und zwar aus allen Himmelsrichtungen. Der Refrain jedoch bricht aus der Schilderung aus und wird zur Aufforderung: »Auf, kommt herbei!« Das ist ein Impuls an die Singenden und Hörenden, hier und heute, denn wir sind gemeint. Der Komponist übersetzt das in Musik, wenn er bei »Gottes Wort« und »Lichte des Herrn« aus dem eingefahrenen Gleis der Tonart ausbricht und neue Töne anschlägt, was an den Vorzeichen leicht erkennbar ist.
Die zweite Strophe intensiviert das endzeitliche Friedensthema unter dem Motto »Schwerter zu Pflugscharen«. Aber ist diese »Schau« des alten Propheten nur eine Illusion? Diesen Einwand greift die dritte Strophe durchaus offensiv auf, indem sie zwei Motive der ersten Strophe miteinander verbindet: das »Wort« und die »Frage«. Wie tragfähig ist das alte Bibelwort denn noch? So fragen die Singenden. Die Antwort des Liedes verweist auf unseren »Mut« und auf die Nachfolge Jesu.
Dieses Friedenslied lotet Spannungen aus: zwischen erlebter Realität und prophetischer Vision, zwischen »Krieg lernen« und Friedenssehnsucht, vor allem zwischen dem Friedenswort der Bibel und unserer gesungenen Antwort. Die Musik rüttelt auf, wenn der hymnische Rhythmus im 6/4-Takt nach einigen Zeilen bei »und die Völker werden kommen« sich verändert zu 3x2 Halbenoten. Den Imperativ »Auf« versieht die Musik mit einem Ausrufungszeichen. Der Weg zum »Lichte des Herrn« führt zielstrebig aufwärts, indem er die Moll-Region verlässt und die Richtung der Dur-Tonleiter einschlägt.
Meinrad Walter